Vor kurzem war ich beim Twittwoch Rhein-Main in Wiesbaden, weil sich die Bahn mit einem Vortrag über ihren Twitter-Account angekündigt hatte. Und weil ich wissen wollte, wie man das so macht, als Unternehmen auf Twitter bei einem Tweetaufkommen von 300 Tweets pro Tag. Ich fand das alles so spannend, dass ich es aufschreiben musste! Danke an Daniel Backhaus (@widget68) für diesen super interessanten und offenen Vortrag. (Die im Text auftauchenden Dialogbeispiele stehen inhaltlich in keinem direkten Zusammenhang zum Text davor oder danach)
Vor einiger Zeit gab es schon dieses schöne Video, das als Einstieg ganz gut passt. Schaut es euch an, dann muss ich diese Infos nicht aufschreiben.
Das Thema: Support
Die Bahn twittert seit Juni 2011 unter @db-bahn für den Personenverkehr. Es gibt keine Infos zum Konzern, kein Presse-Blabla, keine Tipps und Tricks, sondern stinknormale Hilfe für die Reisenden. Vorwiegend werden direkt an die Bahn gerichtete Fragen beantwortet. Wenn mal etwas weniger los ist, werden über ein Monitoring aufgespürte Tweets beantwortet.
Die Vorbereitung: Kein prozessfreier Raum
In einem Konzern dauert das Aufsetzen eines Twitter-Accounts schon mal eine ganze Weile: ca. ein Jahr. (Aber nicht nur Konzerne brauchen so lange;) Daniel war in allen Abteilungen unterwegs, die in die Twitteraktivitäten einbezogen werden mussten – zB. auch solche, die dann zur Beantwortung von Fragen der Twitterer herangezogen werden müssen. Zusätzlich gab es eine lange Probephase mit vielen Test-Twitterern. Außerdem wurde ein sehr umfangreiches Handbuch erstellt.
Das Team: 8 Leute
Das Twitterteam besteht aus echten Bahnmitarbeitern. Sie wurden 2 Wochen lang in “Twitter” ausgebildet. Das war wohl einfacher, als Twitter-Experten einzustellen, und in “Bahn” zu schulen. 😉 Für die Mitarbeiter war es eine recht ungewohnte Erfahrung, ohne Textbausteine zu antworten, und vor allem: frei schreiben zu dürfen! Zum Vergleich: @Telekom_hilft twitter nun seit 1,5 Jahren und hat 30 Festangestellt im Twitterteam, wie @AndreasHBock verriet.
Die Software: CoTweet
Genutzt wird CoTweet in der Enterprise-Edition. Ich selbst habe bisher nur mit der kostenlosen Variante gearbeitet, die so lala ist und oft rumzickt. Aber für einen solch umfangreichen Einsatz scheint die Enterprise-Variante gut zu funktionieren und das der einzig praktikable Tool zu sein.
Die Öffnungszeiten: Mo-Fr 6-20 Uhr
Die Bahn twittert unter der Woche von 6-20 Uhr. Solche Twitter-Zeiten finde ich für Unternehmen völlig ok. Für “normale” Unternehmen, die nur tagsüber arbeiten sowieso. Zwar kann man mit der Bahn rund um die Uhr fahren, aber Twitter ist ja nicht die einzige Möglichkeit, um mit der Bahn zu kommunizieren. Bei Problemen in der Nacht kann man ja auch ne Hotline anrufen. Und ansonsten ist es einfach “scheiß teuer”, ein solches Team rund um die Uhr arbeiten zu lassen. Genau das beschreibt die Bahn auch in dieser Service-Notiz.
Der Start: überpünktlich
Der große Tag des offiziellen Starts war wohl angekündigt, denn er wurde von vielen erwartet. Und weil die Bahn sonst immer zu spät kommt, haben sie auf Twitter einfach mal früher angefangen, nämlich schon um 5:55 Uhr. (Coole Idee) Ich habe den Start dadurch mitbekommen, weil morgens nach dem Aufwachen meine gesamte Timeline damit beschäftigt war, der Bahn viel Glück zu wünschen. (Bis auf eine, die fragte, ob wir das ironisch meinen würden;) Daher war ich ein wenig überrascht, als Daniel erzählte, dass sie am ersten Tag mit sehr vielen kritischen Test-Tweets zu tun hatten – die Twitteria wollte wohl herausfinden, ob die Bahn es wirklich drauf hat, oder ob man sich in schöner Twittermanier mal wieder über einen Fehlschlag Unwissender lustig machen kann. Nach ein paar Stunden kippte aber die Stimmung und man kam zu dem Schluss, dass sich die Bahn und ihr Twitterteam wohl wirklich ordentlich vorbereitet hatten. Hier eine Service-Notiz zum ersten Tag und die “Kompetenzstory mit dem Wasserkübel“.
Die Service-Notizen: wenn 140 Zeichen nicht reichen
Manche Fragen werden immer wieder gestellt, und die Antwort passt nicht in 140 Zeichen. Dafür hat die Bahn eine Rubrik “Service-Notizen” eingeführt und verlinkt dann immer zu den entsprechenden Einträgen verlinkt. Beispiel “Die Mitnahme von Hunden“.
Die Anrede: gespiegelt
Wie redet man Twitterer an, vor allem, wenn man ein Unternehmen ist? Siezen sie die Twitterer, wirken sie oldschool, duzen sie die Twitterer, empfindet das der eine oder andere als zu flapsig. Daher verfährt die Bahn nach der sogenannten gespiegelten Anrede: So wie der Nutzer sie anspricht, so antworten sie auch. In den meisten Tweets wird aber gesiezt.
Die Qualitätskontrolle: stichprobenartig
Die Qualität wird nicht nur auf fachlicher Basis (wurden die Fragen richtig beantwortet?) überprüft, sondern auch hinsichtliche der richtigen Twitter-Nutzung. Sind die Antworten in der richtigen Tonalität geschrieben oder sind sie zu flapsig oder vielleicht zu steif? War ein Smiley angebracht oder nicht … und so weiter. Wichtig ist hier, dass sowohl negativ als auch positiv kritisiert wird.
Die Tweet-Freigabe: 4-Augen-Prinzip
Die Bahn-Twitterer schicken auf Twitter ihre Antworten nicht einfach so raus. Allerdings gibt es auch keine Person, die übergeordnet für die Freigaben der Tweets zuständig ist, sondern jeder wechselt permanent zwischen den Rollen Tweet-Schreiber und Tweet-Freigeber. Im 4-Augen-Prinzip schaut immer jemand drüber, bevor ein Tweet rausgeht.
Die Antworten: twitternswert
Die Bahn beantwortet nicht jeden Tweet, in dem sie genannt wird. Ein Tweet wird dann beantwortet, wenn ein erkennbarer Mehrwert für den Kunden besteht. Soll heißen: Wenn jemand über einen verspäteten Zug meckert, könnte die Bahn sich höchstens entschuldigen. Allerdings würde das dem Kunden nicht weiterhelfen und auf Dauer wirkt so etwas unglaubwürdig.
Im Notfall: hochfahren
Im Notfall, also wenn irgendetwas außergewöhnliches passiert und vielleicht mal nachts oder am Wochenende eine Sturm von Anfragen über die Bahn hereinbricht, kann der Kanal innerhalb von 45 Minuten “hochgefahren” werden.
Die Anderen: hilfreiche Zusammenarbeit
Mit einigen anderen twitternden Unternehmen gibt es Absprachen. Beim thema WLAN in den Zügen hat man sich mit der Telekom geeinigt, dass die Bahn Anfragen zur technischen Verfügbarkeit von WLAN beantwortet, während die Telekom die Fragen zu Tarifen beantwortet. Sogar mit der Lufthansa gibt es Absprachen, da z.B. im Falle eines Fluglotsenstreiks o.Ä. sehr viele Flugreisende auf die Bahn umsteigen müssen und es dann natürlich zwangsläufig zu Engpässen etc. kommen muss. Um solche erhöhten Tweetaufkommen kümmert man sich dann gemeinsam. Auch mit twitternden lokalen Verkehrsgesellschaften steht die Bahn in Kontakt, um bei bestimmten Themen die Anfragen weiter zu leiten.
Das Ziel: die Anzahl der Dialoge
Die Anzahl der Follower war ja noch nie eine hilfreiche Zahl, um den Erfolg zu messen. Für die Bahn ist die Anzahl der Dialoge ausschlaggebend, sowie die Tonalität – also ob sich die Twitterer positiv oder negativ äußern. Und das wird händisch ausgezählt, sowohl die Anzahl als auch die Tonalität.
————————————————–
So, das wars, was ich spannend und merkenswert fand. Wie man sieht, war der Vortrag wirklich auf das praktische Doing bezogen, sehr offen und ehrlich. Und das war viel mehr als ich erwartet hatte! 🙂 Vielen Dank!
Beim Durchklicken der Tweets ist mir aufgefallen, dass es recht viele Nicht- bis Selten-Twitterer gibt, die den Twitter-Dialog mit der Bahn suchen oder Twitter sogar fast ausschließlich für diese Dialog-Möglichkeit nutzen. (z.B. @larskoenecke @Vashem85 @caylithi @peterandsean @MiggK @tonminister) Das finde ich sehr erstaunlich und spricht eigentlich dafür, dass Twitter eine sehr praktisches Dialog- und Serviceangebots ist.